Recht ist nicht immer richtig
Die - korrekte - Anwendung geltenden Rechts hat nicht notwendigerweise etwas mit der Richtigkeit des erzielten Ergebnisses zu tun.
Das liegt daran, dass es eine sog. prozessuale Wahrheit gibt. Wenn in einem Prozess, in dem es keinen Amtsermittlungsgrundsatz gibt, die eine Partei (z.B. der Kläger) eine Tatsachenbehauptung aufstellt, welche von der anderen Partei (z.B. dem Beklagten) nicht bestritten wird, muss das Gericht diese Behauptung als wahr unterstellen.
Ist nun die Behauptung des Klägers nicht wahr, ergeht dennoch auf dieser Grundlage eine Entscheidung - und das ist juristisch korrekt - aber nicht richtig.
Das gilt natürlich erst recht, wenn zwei Parteien gemeinsam etwas Unrichtiges behaupten, um schneller zu einem gemeinsam gewünschten Ergebnis zu kommen. So ist es gelegentlich, wenn in einem Verfahren zur einverständlichen Ehescheidung die Noch-Ehepartner dem Gericht vortragen, ihre Trennung liege länger als ein Jahr zurück (obwohl es tatsächlich erst wenige Wochen oder Monate sind).
In Verbindung mit der Frage, wer die Last eines nicht zu erbringenden Beweises trägt, wenn in strittigen Situationen unklar ist, wie es wirklich war, kann der Unterschied zwischen Recht und Richtigkeit zu spannenden Ergebnissen kommen.
Wenn jemand einem anderen durch Barzahlung unter vier Augen ein Darlehen über 1.000 € gibt und dieser andere das Darlehen durch Barzahlung unter vier Augen nach sechs Monaten wie vereinbart zurückzahlt, ist bei voller Wahrheit ein Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens zunächst entstanden und dann - durch Erfüllung - wieder erloschen.
Behauptet nun der Erste, er habe das Darlehen gegeben, aber nie zurückbekommen, hat der Zweite ein Problem: Trägt er die Wahrheit vor, muss er noch einmal zahlen. Die Hingabe des Darlehens ist dann nämlich unstreitig (also „wahr“), die Rückzahlung ist aber streitig und kann von ihm nicht bewiesen werden (also „falsch“). Hier führt das Falsche über das Recht auch zu einem falschen Ergebnis.
Behauptet aber der Zweite einfach, er habe nie ein Darlehen bekommen, dann ist das zwar (für uns) offenkundig falsch, weil der Erste die Hingabe aber nicht beweisen kann, kann er auch keine Rückgabe verlangen - und das ist letztlich „richtig“. Hier führt das Falsche über das Recht also auch zu einem richtigen Ergebnis.
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